Rez.: Steffen Dengler: Die Kunst der Freiheit? Die westdeutsche Malerei im Kalten Krieg und im wiedervereinigten Deutschland
Rezensiert von Anja Tack
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, tack@zzf-pdm.de
Der aus Sachsen stammende Georg Baselitz, der 1957 nach West-Berlin übergesiedelt war, gab im Sommer 1990 den Impuls für den deutschen Bilderstreit, das heißt für die heftigen öffentlichen Debatten über den Wert der ostdeutschen Kunst: „Es gibt keine Künstler in der DDR, alle sind weggegangen.“[1] Damit griff er das im deutsch-deutschen Kunstdiskurs etablierte Argument auf, Kunst könne nur in Freiheit entstehen. Zwei unterschiedliche „Geltungskünste“ (Karl-Siegbert Rehberg) oder, wie es Steffen Dengler formuliert, „zwei gegensätzliche kulturelle Gesichter“ (S. 9) waren während der deutschen Teilung entstanden. Die Kunst des Westens war dominiert von einer abstrakten Ausdrucksweise, die des Ostens von einer figurativen (eine Gegenüberstellung, die als Arbeitshypothese eine gewisse Berechtigung hat, bei näherem Hinsehen allerdings rasch fragwürdig wird). Zugleich wurde die westdeutsche Kunst als eine „Kunst der Freiheit“ charakterisiert, die ostdeutsche Kunst dagegen galt als Inbegriff der Unfreiheit.
Denglers Dissertation, die er 2008 an der Humboldt-Universität zu Berlin vorlegte und die nun als Buch erschienen ist, kann als Beitrag zur Historisierung des deutschen Bilderstreits seit 1990 verstanden werden, in dem beide Kunstverständnisse unversöhnlich aufeinanderprallten. In „Die Kunst der Freiheit? Die westdeutsche Malerei im Kalten Krieg und im wiedervereinigten Deutschland“ geht der Kunsthistoriker und Galerist der Frage nach, wie sich die abstrakte Malerei als westdeutsche Geltungskunst durchsetzen konnte. Die spätestens seit den 1980er-Jahren gängige These, die US-amerikanische Außenpolitik und mit ihr die CIA hätten sich um die Einführung und Durchsetzung der abstrakten Malerei im Nachkriegsdeutschland verdient gemacht oder hätten dazu mindestens wesentlich beigetragen, stellt er auf den Prüfstand. Denn der Beweis, dass „die Akzeptanz des Abstrakten Expressionismus in Europa auf die Initiative der USA hin durchgesetzt worden sei“, stehe nach wie vor aus (S. 18).[2] Grundlegend in Frage gestellt werde damit zugleich das westliche „Überlegenheitsgefühl gegenüber der vereinnahmten Kunst aus Ostdeutschland, das sich auf die Überzeugung gründete, selbst eine über jeden Verdacht erhabene Kunst vorweisen zu können“ (S. 12).
Denglers zentraler Untersuchungsgegenstand sind sechs in den Jahren von 1946 bis 1948 gezeigte Ausstellungen, in denen „um das Profil Nachkriegsdeutschlands gerungen“ worden sei (S. 30). Leider erfährt der Leser nicht, nach welchen Kriterien die Auswahl der Ausstellungen erfolgte; es heißt lediglich, dass die besprochenen Ausstellungen „besonders deutlich Stellung bezogen“ in der Profilierung der Künste seit 1945 (ebd.). Zwei Ausstellungen US-amerikanischer Herkunft von 1946 und 1948 werden vier deutsche Kunstschauen gegenübergestellt: die Konstanzer Ausstellung „Neue Deutsche Kunst“ vom Juni 1946, die Dresdener „Allgemeine Deutsche Kunstausstellung“ vom August 1946 sowie zwei Augsburger Ausstellungen der Reihe „Maler der Gegenwart“ („Extreme Kunst“ und „Künstler der Ostzone“, beide 1947). Auf knapp 80 Seiten führt Dengler den Leser mit zahlreichen Abbildungen und präzisen Bildbeschreibungen sehr anschaulich durch die Ausstellungen.